Die Entscheidung 7 Ob 112/16w enthält für Anlegerschäden bedeutsame Ausführungen: I. zur Reichweite des Abgrenzungsausschlusses zwischen Schadenersatz-RS und Vertrags-RS und II. zur rechtlichen Beurteilung einer „Vertragsaktualisierung“.

Sachverhalt: Der VN hatte zunächst einen „alten“ RS-Vertrag – also ohne den Ausschluss „Finanzinstrumente“ – mit Schadenersatz-RS (aber ohne Vertrags-RS). Dieser Vertrag wurde in 2011 auf Initiative des Versicherers „aktualisiert“ auf aktuelle ARB – also mit dem Ausschluss „Finanzinstrumente“ (auch hier wieder ohne den Vertrags-RS). In 2010 hat der VN ALPINE-Anleihen erworben – er wollte RS-Deckung für eine auf § 11 KMG und auf culpa in contrahendo gegründete Schadenersatzklage gegen die Emissionsbank (und weitere Gegner wie den Abschlussprüfer und die ehemaligen Vorstände der ALPINE).

  1. Zum Abgrenzungsausschluss Richtung Vertrags-RS

Vom Schadenersatz-RS des Artikel 19 sind – zwecks Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz-Bausteinen – unter anderem Schadenersatzansprüche wegen reiner Vermögensschäden ausgenommen, die auf der Verletzung vorvertraglicher Pflichten beruhen (mit Verweis auf den Allgemeinen Vertrags-Rechtsschutz). Dieser Abgrenzungsausschluss kann zu Deckungslücken führen, insbesondere dann, wenn der Allgemeine Vertrags-RS nicht mitversichert worden ist – so wie auch im Fall der E 7 Ob 112/16w.

Auszug aus 7 Ob 112/16w

„Die Beklagte meint, der Kläger wolle gegen die Emissionsbank ausschließlich einen vertraglichen Schadenersatzanspruch geltend machen. Dabei lässt sie aber unberücksichtigt, dass der Kläger seinen Schadenersatzanspruch auch auf gesetzliche Grundlagen stützt, nämlich dass der Prospekt unrichtige Angaben im Sinn des § 7 KMG enthalten habe, wofür die Emissionsbank nach § 11 KMG infolge behaupteter Kenntnis der unrichtigen Angaben hafte. § 11 KMG ist ein Fall einer gesetzlichen Prospekthaftung, die in Konkurrenz zu Ansprüchen aus der allgemein zivilrechtlichen Prospekthaftung nach culpa in contrahendo tritt (vgl § 11 Abs 8 KMG; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 12 Rz 14 f; Zib/Russ/Lorenz, Kapitalmarktgesetz § 11 Rz 2 ua). Demnach beruhen die Schadenersatzansprüche gegen die Emissionsbank nicht allein auf Vertrag. Dass die Ansprüche gegen die Geschäftsführer der Emittentin und der Bilanzprüferin auf Vertrag beruhen sollten, wird von der Beklagten im gesamten Verfahren mangels Grundlage ohnehin zu Recht nicht behauptet. Das vom Kläger angestrebte Vorgehen unterliegt damit dem Schadenersatz-Rechtsschutz nach Art 19.2.1 ARB 1988/2007.“

 

Die beiden unterstrichenen Sätze sind in dreierlei Hinsicht erwähnenswert:

  • Auf § 11 KMG gestützte Ansprüche verbleiben (immer) im Schadenersatz-RS
  • Der Abgrenzungsausschluss der ARB 1988 erfasst nach seinem Wortlaut nur Ansprüche, die „ausschließlich auf der Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung beruhen“. Der zweite unterstrichene Satz bedeutet, dass nach Beurteilung des OGH auch der (nicht so „ausschließlich“ formulierte) Abgrenzungsausschluss in den ARB 2007 bei Anspruchskonkurrenz (Anspruchsgrundlagenkonkurrenz) nur vertragliche oder auf culpa in contrahendo gegründete Ansprüche erfasst. Das entspricht den Ausführungen in meinem Buch auf Seite 514 f.
  • Im Fall einer Anspruchskonkurrenz, bei der nur eine Anspruchsgrundlage (hier § 11 KMG) versichert ist, würde sich die Frage stellen, ob der RS-Versicherer auch für die nicht versicherte Anspruchsgrundlage (hier Prospekthaftung im weiteren Sinn bzw. culpa in contrahendo) Deckung zu gewähren hat. Der OGH geht auf diese Frage gar nicht ein und bejaht die vollständige (also auch die nicht versicherten Anspruchsgrundlagen umfassende) Deckungspflicht. Anmerkung: Nach hA in Deutschland umfasst die Deckungspflicht auch solche nicht versicherte Anspruchsgrundlagen, soweit die ungedeckte Anspruchsgrundlage nicht weiter reicht als die gedeckte und beide gleichwertig nebeneinander bestehe (Stahl in Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 8. Auflage, Seite 656 mit Verweisen auf die dazu ergangene Judikatur). 

 

 

  1. Zur „Aktualisierung“ eines bestehenden RS-Vertrages 

Der OGH hat in 7 Ob 122/16w – entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – die Annahme einer Novation und damit die Frage, ob die Nachmeldefrist in Gang gesetzt worden ist, verneint.

Hier ein Auszug:

Im vorliegenden Fall ist beachtlich, dass sich die Mitarbeiter der Beklagten aus eigenem an den Kläger wandten, um den bestehenden Versicherungsvertrag „zu aktualisieren“. Der Kläger wollte grundsätzlich „alles beim Alten“ lassen. Es kann hier dahingestellt bleiben, wie die Vertragsgestaltung im Jahr 2011 im Einzelnen zu beurteilen ist, weil nach dem eindeutigen Willen der Parteien das Versicherungsverhältnis jedenfalls nicht beendet, sondern im Gegenteil (bloß aktualisiert) durchgehend weiter bestehen sollte. Die von der Beklagten initiierten Vorgänge waren nach dem anderen erkennbaren Willen der Parteien nicht darauf gerichtet, zu Lasten des Versicherungsnehmers eine unerwartete Deckungslücke entstehen zu lassen. Der bestehende Vertrag sollte jedenfalls nicht so geändert werden, dass das Versicherungsverhältnis im Sinn des Art 2.5 ARB 1988 beendet werden sollte. Die Nachhaftungsklausel hat nämlich den Zweck, die Deckung für während des Vertragszeitraums eingetretene Versicherungsfälle nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses zu regeln.“

Diese Meinung des OGH ist nicht nur für die Nachmeldefrist bedeutsam (gegen deren Anwendung es ohnehin noch andere Argumente gibt), sondern insbesondere für Fälle, in denen der Versicherungsfall (anders als bei 7 Ob 112/16w) in die Laufzeit des aktualisierten Vertrages fällt, der regelmäßig einen Ausschluss für Vermögensveranlagung enthalten wird. Ist die Initiative für die „Aktualisierung“ vom Versicherer (dessen Agenten) ausgegangen – und das ist in der Praxis meist der Fall – und hat gleichzeitig keine Belehrung stattgefunden, dass mit der „Aktualisierung“ eine Deckungslücke für Vermögensveranlagungen entsteht, wird sich der RS-Versicherer vermutlich nicht mit Erfolg auf diesen Ausschluss berufen können.